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4LOM Administrator
Anmeldungsdatum: 28.02.2005 Beiträge: 3350 Wohnort: North by Northwest
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Verfasst am: 09 Mai 2008 11:36 Titel: 50 Jahre 'Vertigo' |
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Heute vor genau 50 Jahren, am 9. Mai 1958, feierte Alfred Hithcocks Meisterwerk "Vertigo - Aus dem Reich der Toten / Vertigo" [USA 1958] seine Premiere in San Francisco, der Stadt, in der dieser Film spielt. Eine Annäherungen von Jens Hinrichsen an den Film wurde im Film-Dienst veröffentlicht:
Zitat: | Madeleine... verzweifelt gesucht
Annäherungen an Alfred Hitchcocks „Vertigo“
Vor 50 Jahren, am 9. Mai 1958, wurde in San Francisco der Film „Vertigo“ uraufgeführt. Zwischen 1973 und 1983 war Alfred Hitchcocks Meisterwerk für den Verleih gesperrt. Persönliche Erinnerungen an eine filmhistorische Lücke.
In der Schulzeit hatten wir Hitchcock-Groupies einen geflügelten Spruch: „Alma, gib die Filme frei!“ Alma, das war die Witwe von Alfred Hitchcock. Aus purer Bosheit, so glaubten wir, rückte sie fünf seiner Filme nicht zur Wiederaufführung heraus. Darunter zwei schwarze Perlen, die zur Jugendzeit unserer Eltern noch im Kino geglänzt hatten: „Das Fenster zum Hof“ und, vor allem, „Vertigo“. Auf einer USA-Reise hatte ich Donald Spotos Buch „The Art of Alfred Hitchcock“ erbeutet, in dem jeder Schritt des Scottie Ferguson nacherzählt wurde, jede Haarnadelkurve auf der Spur einer rätselhaften Blondine namens Madeleine Elster, die im Grunde genommen gar nicht existierte. Ein weibliches Phantom in einem Phantom von Film, den ich mir im Kopf zusammensetzen musste – wie ja die Heldin ebenso das Konstrukt zweier Männer war, des Betrügers Gavin Elster und des Betrogenen Scottie Ferguson. Eingeweiht war ich auch in den Dreh der Geschichte, den Hitchcock im Film früh verrät: dass hinter der Maske der eleganten Madeleine die bodenständige Brünette Judy steckt. Judys Tragödie besteht in ihrer Bereitschaft, sich von Scottie in Madeleine zurückverwandeln zu lassen, sich selbst aufzugeben, symbolisch Selbstmord zu begehen. Aber von solchen Feinheiten konnte ich nichts ahnen, wie überhaupt das ganze fatale Beziehungsgeflecht von „Vertigo“ den bewegten Bildern vorbehalten blieb, von denen der Plot nichts wusste. Vor allem James Stewarts Besessenheit muss man sehen und hören; ein moderner Pygmalion, der durch die reale Frau blickt wie durch Glas, dann an ihren dunklen Haaren hängen bleibt und fast dämonisch über sie hinweg flüstert: „The colour of your hair!“ Ein bodenloser Satz.
Obsessionen. Ich war wirklich ein Hitchcockianer. Meine Manie lässt sich nur mit dem kollektiven Furor vergleichen, von dem heute Harry-Potter-Fans ergriffen werden, wenn die neueste Buch- oder Filmpremiere ansteht. Die meisten Filme meines Meisters waren ja schon im Fernsehen gelaufen. Mit elf litt ich mit „Marnie“ – die wir „Klepto-Marnie“ nannten – und bekam eine erste Ahnung davon, dass es so etwas wie verdrängte Erinnerungen gibt. Dem 15-Jährigen flatterten „Die Vögel“ durch die Albträume. Bald verschlang ich Truffauts Interviewbuch, in dem ausgerechnet „Vertigo“ vergleichsweise knapp und kühl abgehandelt wurde. Offensichtlich sträubte sich Alfred Hitchcock dagegen, viele Worte über einen Film zu verlieren, der vom Gros des Publikums links liegen gelassen worden war – was sich freilich gewaltig geändert hat. „Vertigo“ ist einer dieser Filme, die nicht nur schön altern, sondern mit jeder Betrachtung an emotionaler und intellektueller Tiefe gewinnen.
Alma gab die Filme nicht frei. Und ich fantasierte weiter von einem Meisterwerk mit dem alten deutschen Verleihtitel „Aus dem Reich der Toten“, dessen Wiederkehr in den Sternen stand. In meinen Träumen verquirlten sich eigene Erlebnisse mit allen möglichen Hitchcock-Filmen und „Vertigo“-Antizipationen; wirre Szenarien waren das, die kein Script-Doctor hätte retten können. Wie durch einen Türspalt schwebte auch Kim Novak herein, als Traum- und Schaumgeborene, die bald über einen Hotelteppich auf mich zugeschritten kam, von neongrünem Nebel umflort, bis sich der Schleier lichtete und Madeleine mir ein klares, doch scheues Lächeln schenkte – immerhin diesen einen Filmausschnitt hatten sie im Fernsehen gezeigt. Für mich ist es das schwindelerregendste Bild des Kinos überhaupt geblieben, weil Hitchcock das blonde Gespenst im grauen Schneiderkostüm realer wirken lässt als das nette Mädchen von nebenan, das in der Maske steckt – schon verschwunden und fast vergessen. Merkwürdig: Hitchcock hat uns doch längst in die Karten gucken lassen. Wir wissen von der gezinkten Herz-Dame, aber das ist nicht, was wir sehen. Wir sehen und fühlen, was Scottie wahrnimmt: Madeleine forever. Hitchcock lockert die Schraube, die Ratio und Gefühl verbindet, er jongliert mit den Gehirnhälften, bis uns schwindlig wird.
Alma Hitchcock starb 1983, drei Jahre nach ihrem Mann. Die Wiederaufführungen verdankten wir schließlich Patricia Hitchcock, der Tochter. Was ich nicht wusste: Ihr Vater hatte die Rechte jener fünf „lost Hitchcocks“ in den späten 1960er-Jahren selbst zurückgekauft. Eine Art „Verknappungsmarketing“ vielleicht, die seinen Erben ja tatsächlich eine ordentliche Rendite aus den Filmen verschafft hat. Allerdings fielen künstlerische und geschäftliche Erwägungen bei Hitchcock häufig zusammen, und so stelle ich mir vor, dass ihn im Fall von „Vertigo“ gereizt hat, auch einen Mythos zu befördern. In der Tat war meine Erwartung auf dem Siedepunkt, als die ersten Trailer im Frühjahr 1984 über die Leinwände flimmerten. Ich büffelte fürs Abitur, kämpfte sozusagen mit meiner eigenen Höhenangst und durfte nun Scottie mitsamt seiner janusköpfigen Geliebten erstmals begegnen, wenn auch unter schwierigen Bedingungen: Hitchcocks „chef-d’oeuvre inconnu“ diente im Großraum Hamburg zunächst als Programmfüller in einem Vorort-Schachtelkino! Die Leinwand war winzig, der Ton dumpf, aufgrund eines Kopierwerkfehlers tönte Bernard Herrmanns wagnerianischer Score zeitweilig wie Leierkastenmusik. Ohnehin brauchte ich Zeit und ein gutes Dutzend weitere Kinovorstellungen, mir meine irrigen, aus Sekundärquellen und einer Filmmusikschallplatte gespeisten „Vertigo“-Bilder aus dem Kopf zu spülen. Mein erstes Date mit Madeleine war also eine Enttäuschung auf hohem Niveau, ähnlich wie den Erzähler in Marcel Prousts „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ die erste Begegnung mit der Schauspielerin La Berma ratlos zurücklässt.
Im Sog der Bilder
Erschwerend kam hinzu, dass Hitchcocks Madeleine (eine Verbeugung vor Prousts erinnerungsstimulierendem Eiergebäck?) mit der deutschen Stimme der Rancherin Sue Ellen aus der Fernsehserie „Dallas“ sprach, während aus James Stewarts Mund immerhin noch der hell timbrierte Zungenschlag von Siegmar Schneider tönte. Die 1958er-Synchronfassung mit Schneider und der rauchigen Gisela Trowe gilt als verschollen, doch wer partout keine Untertitel zuschalten will, ist mit der inzwischen dritten Synchronisation auf der DVD gar nicht so schlecht bedient. Nebenbei bemerkt: Im Gegensatz zum einhellig positiven Urteil über die Farbrestaurierung durch Harris und Katz scheiden sich am 1996er-Stereo-Remix der Tonspur die Geister. Mich hat damals, anno 1985 in einem Frankfurter Raucherkino, die noch monoaurale Originalfassung mit einem schwerfällig-schwermütig artikulierenden Stewart derart gepackt, dass ich mir die Zigarette verkehrt in den Mund schob und den Filter in Brand setzte. Es saßen gottlob keine Pyrophobiker im Kino.
Wer hat eigentlich wirklich den berüchtigten Vertigo-Effekt erfunden? Ob Hitchcock – der Leistungen seiner Mitarbeiter gern unterschlug – selbst auf die technische Lösung einer Kopplung von Kamerafahrt und gegenläufigem Zoom verfiel, scheint mir fraglich. Die Wirkung ist jedenfalls bestürzend: Mit Scottie, der bleiernen Schrittes der flinken „Madeleine“ zu folgen versucht, blicken wir von oben ins Treppenhaus des Glockenturms herab. Als stünden wir im Innern einer Luft ansaugenden Ziehharmonika, weitet sich die Perspektive, zieht sich der Fußboden sogartig zurück. Auf „eine Kamerafahrt zurück, kombiniert mit einem Zoom nach vorn“, tippt François Truffaut im Interview-Buch „Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?“. Der Meister antwortet: „Ja, das ist richtig.“ Truffaut und Hitchcock irren sich (auch in der aktuellen Auflage). Es war genau umgekehrt: Vom Treppenhaus-Set wurde ein Modell angefertigt, das man waagerecht auf den Boden legte. Die Kamera fuhr ins Modell hinein und das Zoomobjektiv wurde aus mittlerer Tele- in die Weitwinkelstellung zurückgeschraubt. Tele-Einstellungen verzerren die Perspektive nicht, sie verflachen sie. Zufällig weiß ich das, ich habe nach der Schule eine Fotografenlehre absolviert. Die meisten Autoren haben Truffauts Vermutung ungeprüft übernommen – Donald Spoto, Enno Patalas, auch Susanne Marschall auf Seite 160 ihres profunden „Vertigo“-Kapitels in dem großartigen Buch „Farbe im Kino“. Den Push-Pull-Effekt erklärt allein James Monaco in seinem Handbuch „Film verstehen“ richtig.
„Hitchcock verstehen“ wäre ein illusionäres Ziel. Mir jedenfalls ist es nach gut 30-maliger Betrachtung nicht gelungen, den elaborierten Schwindel, den „Vertigo“ erzeugt, seine raffinierte Wirkungsdramaturgie wirklich zu durchschauen. Das Erzählgeflecht changiert bei jedem Wiedersehen in anderen Farben. Gilles Deleuze hat das hitchcocksche Bildfeld als Webrahmen beschrieben, in dem sich symbolische Akte und filmische Aktion durchdringen wie Kette und Schuss. Es ist dieses „mentale Bild“, wie Deleuze es nennt, das einen Tiefenstrudel erzeugt, aus dem man weder auftauchen kann noch will.
Jens Hinrichsen |
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Dr. Strangelove
Anmeldungsdatum: 02.08.2005 Beiträge: 1806
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Verfasst am: 09 Mai 2008 11:49 Titel: |
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Schöner Artikel, danke dafür. Das mit Madeleine und Proust ist mir auch immer aufgefallen und ich glaube schon, daß die Parallele stimmt. Vor allem da die Vorlage von Pierre Boileau und Thomas Narcejac, D'entre les morts, aus Frankreich stammt.
Das mit dem Vertigoeffekt wußte ich dagegen nicht. Bisher hatte auch ich mich immer an Hitchcocks These gehalten.
Universal soll mal aufwachen und diesen Filmklassiker endlich als Neuauflage auf den Markt bringen, möglichst auch als Blu-Ray. _________________ "Un artiste est toujours jeune" Jean-Marie Straub
Zuletzt bearbeitet von Dr. Strangelove am 14 Jun 2008 23:44, insgesamt einmal bearbeitet |
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Der Mann mit dem Plan Gast
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Verfasst am: 09 Mai 2008 18:27 Titel: |
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Einen Hitchcock nicht im Kino als Filmkopie gesehen zu haben, heißt ihn nicht gesehen zu haben. |
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Neophyte Gast
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Verfasst am: 09 Mai 2008 19:29 Titel: |
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Demnach kenne ich 0 Hitchcocks. Aber Vertigo ist und bleibt mein Liebling des Mannes |
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4LOM Administrator
Anmeldungsdatum: 28.02.2005 Beiträge: 3350 Wohnort: North by Northwest
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Verfasst am: 09 Mai 2008 20:26 Titel: |
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Der Mann mit dem Plan hat folgendes geschrieben: | Einen Hitchcock nicht im Kino als Filmkopie gesehen zu haben, heißt ihn nicht gesehen zu haben. |
Leider war die "Vertigo"-Filmkopie, die ich letztes Jahr im Kino gesehen habe, ziemlich abgenutzt. Es war wohl eine Kopie, die vor der Restaurierung angefertigt wurde, denn es handelte sich noch um die ältere Synchro. |
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helmi
Anmeldungsdatum: 10.03.2005 Beiträge: 2820 Wohnort: Hall of the incredible macro Knight
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Verfasst am: 11 Mai 2008 10:48 Titel: |
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Der Mann mit dem Plan hat folgendes geschrieben: | Einen Hitchcock nicht im Kino als Filmkopie gesehen zu haben, heißt ihn nicht gesehen zu haben. |
wenigstens kann ich dann behaupten, dass ich einen grossteil von hitckcock's werk gesehen habe.
gruss
helmut |
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helmi
Anmeldungsdatum: 10.03.2005 Beiträge: 2820 Wohnort: Hall of the incredible macro Knight
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Verfasst am: 29 Jul 2008 10:55 Titel: |
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in kürze startet im filmpodium der stadt zürich eine hitchcock-retro, unter anderem mit der farbrestaurierten fassung von "vertigo":
Dreizehn Jahre sind seit der letzten Hommage des Filmpodiums an den «Master of Suspense» vergangen. Höchste Zeit also, Hitchcocks Hauptwerke wieder einmal im Zusammenhang zu zeigen, alte Vorlieben zu überprüfen und neue zu entdecken. Unsere zweiteilige Retrospektive bewegt sich im Rückwärtsgang vom amerikanischen Spät- zum britischen Frühwerk. Die erste Hälfte umfasst nebst legendären Klassikern wie Psycho, The Man Who Knew Too Much und Vertigo (letzterer erstmals in der farbrestaurierten Fassung) auch selten gespielte Titel wie Marnie und The Wrong Man.
gruss
helmut |
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Snake Plissken
Anmeldungsdatum: 20.07.2008 Beiträge: 184
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Verfasst am: 29 Jul 2008 16:27 Titel: |
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Bildungslücke |
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Dr. Strangelove
Anmeldungsdatum: 02.08.2005 Beiträge: 1806
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Verfasst am: 29 Jul 2008 20:46 Titel: |
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Snake Plissken hat folgendes geschrieben: | Bildungslücke |
Das macht gar nichts, es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Der erste Schritt ist dabei sicher, die großen Meisterwerke der Filmgeschichte zu schauen, und dann entwickeln sich von ganz allein Vorlieben für bestimmte Regisseure. Wenn man dann an einem ganz besonders interessiert ist, sollte man möglichst alles von ihm schauen, bis man verstanden hat was ihn so besonders macht.
Hitchcocks Filme nicht zu kennen ist allerdings in etwa so, wie wenn ein Katholik noch nie etwas vom alten Testament gehört hat. Es kann also wirklich eines der ganz großen Ereignisse in deinem Leben sein, etwa Vertigo mal als 70mm-Kopie in einem Kino zu sehen.
Sich mit Film zu beschäftigen heißt allerdings auch immer, sich mit einer Kunstform auseinanderzusetzen. Und genauso wie man einen Tizian nicht ohne Kenntnis des Malers und seiner Zeit verstehen kann, so unmöglich ist es, das Werk eines großen Filmautheurs zu verstehen. Man muss also auch viel lesen, und sich immer wieder aufs Neue überraschen lassen. Wenn Godard sagt, dass Filme die Sicht einer Generation auf ihre Welt sind, so bedeutet das, dass wir durch sie auch immer etwas über unsere Welt verstehen. Regisseure wie Fassbinder, Sirk oder auch Godard haben immer in diese Richtung gearbeitet.
Also nicht verzagen lassen und der Entwicklung Zeit geben. _________________ "Un artiste est toujours jeune" Jean-Marie Straub |
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