helmi
Anmeldungsdatum: 10.03.2005 Beiträge: 2820 Wohnort: Hall of the incredible macro Knight
|
Verfasst am: 27 Jul 2009 11:43 Titel: Der letzte Western / 40 Jahre „Spiel mir das Lied vom Tod“ |
|
|
Der letzte Western artikel / geschichte
40 Jahre „Spiel mir das Lied vom Tod“
[ zurück ]
Als am 14. August 1969 Sergio Leones „Spiel mir das Lied vom Tod“ in Deutschland erstaufgeführt wurde, hatte Hollywood längst die Deutungsmacht über eines seiner produktivsten Genres verloren. Während in den USA in den 1960er- und 1970er-Jahren im Durchschnitt nur noch 20 Western pro Jahr produziert wurden, boomte das Genre in Europa. Angesichts von 500 italienischen (Co-)Produktionen war das amerikanische Genre par excellence zu einem paneuropäischen Projekt unter italienischer Führung geworden. Den Grundstein dafür hatte Sergio Leone 1964 mit „Für eine Handvoll Dollar“ gelegt, eine an Akira Kurosawas „Yojimbo“ (1961) angelehnte italienisch-spanisch-deutsche Co-Produktion, die für ein Mini-Budget in Italien und Südspanien gedreht worden war und zu einem der erfolgreichsten Nachkriegsfilme Italiens avancierte. In Bezug auf den klassischen Western war dieser B-Film eine europäische Anverwandlung, deren Vergnügen gerade aus der spöttischen Verkehrung der Genreregeln und dem Angriff auf die in Amerika etablierten Zeichen und Mytheme erwuchs. Seine besondere ästhetische Bedeutung gründete in der aggressiven und experimentellen Inszenierungsweise, insbesondere den formelhaften Spielereien und selbstreferenziellen Brüchen; Innovationen, die bisher höchstens am Rand des Western-Genres zu sehen gewesen waren, etwa bei Samuel Fuller oder Robert Aldrich.
War „Für eine Handvoll Dollar“ die Blaupause des „Italowestern“, so wurde „Spiel mir das Lied vom Tod“ zu seinem Opus magnum: ein Film, der gänzlich aus dem Rahmen der oft seriell gefertigten europäischen Western fiel. Schon die 14-minütige Exposition verdeutlicht dies anschaulich. Gemessen am minimalen narrativen Gehalt ist schon ihre Länge ausufernd: An einem gottverlassenen Viehbahnhof kommen drei Männer an, terrorisieren wortlos den Bahnhofsvorsteher und seine Frau und warten auf den Zug. Nach dessen Ankunft tritt ihnen ein mysteriöser Fremder entgegen, der die Männer erschießt. Nicht mehr, nicht weniger. Doch es kommt auf das „Wie“ der Inszenierung an: Mit einem von Ennio Morricone orchestrierten Geräuschraum, der als Musique concrète den Auftritt von Jack Elam, Woody Strode und Al Mulock begleitet. Wie man alle Zeit der Welt hat, diesen Männern beim Warten zuzusehen, wie sich Elam mit einer lästigen Schmeißfliege duelliert, Mulock mit seinen knackenden Knöcheln zur Geräuschmusik beiträgt oder Strode einer Ikone des Stoizismus gleich unbewegt dasteht, während auf seinem fast kahlen Schädel rhythmisch die Wassertropfen eines lecken Tanks zerplatzen. Der Holzboden unter den Männern, ein Flickwerk endloser Bretterlinien aus verzogenen Bohlen und Planken, bildet in den streng komponierten, bodennahen Weitwinkelbildern ein Muster, das an einen ausgedörrten Salzsee erinnert – zugleich roh und poetisch, von einer atemberaubenden Schönheit, die die Hässlichkeit der Figuren, die Armseligkeit des Stationshauses und die Banalität des Wartens transzendiert. Und dann der Auftritt von Charles Bronson als „Mann mit der Mundharmonika“: Mit einem Crescendo der Geräuschmusik überfährt die Eisenbahn wie in John Fords „Das eiserne Pferd“ (1924) die Kamera; Leones Regie-Credit fällt von rechts oben ins Bild, wie eine Schranke, die den gerade einfahrenden Zug stoppt. Als dieser wieder abfährt, steht Bronson plötzlich da: als ob der Zug nur ein tonnenschwerer Vorhang war, der für seinen Auftritt zur Seite gezogen wurde.
Wenn Leone zuvor die Zeit dehnt, indem er mit scheinbar endlosen Bildern von Männern konfrontiert, die träge in der Hitze vor sich hin starren, und zugleich durch die Montage zwei Stunden tote Zeit in zehn Minuten Film verdichet, dann parodiert er natürlich auch Fred Zinnemanns „Zwölf Uhr Mittags“ (1952). Auch deshalb hat der Filmwissenschaftler Lino Micciché Leones Filme als „Kino über das Kino“ bezeichnet; Sylvie Pierre attestierte ihm in den „Cahiers du Cinéma“ einen „dreisten kinematografischen Narzissmus“; ein ästhetisches und inhaltliches Vorausgreifen auf die filmische Postmoderne und ihre Oberflächenreize, ein Zitieren durch die Filmgeschichte. Gegenüber dem neuen Erzählrhythmus, den der Film ins Genre einbrachte – diese „beinahe rauschhaft zu erfahrende Ungleichzeitigkeit“ (Georg Seeßlen) – reagierte die zeitgenössische Kritik überwiegend mit Ratlosigkeit und Unverständnis. Der „Evangelische Film-Beobachter“ und das Branchenblatt „film-echo/Filmwoche“ beklagten Tempoverschleifungen, selbst das verhaltene Lob im „film-dienst“ ging seinerzeit mit einer nachdrücklichen Kritik an der Erzählökonomie einher. Auch Wim Wenders’ doppeldeutig mit „Vom Traum zum Trauma“ überschriebene Besprechung in der „Filmkritik“ macht mit ihrem Untertitel „Der fürchterliche Western ,Spiel mir das Lied vom Tod‘“ deutlich, dass der Autor damit weniger das zentrale Trauma des Films, den Brudermord, sondern vor allem sein persönliches Trauma beim Kinobesuch meinte. Seit „Spiel mir das Lied vom Tod“, so Wenders, „mag [ich] keine Western mehr sehen. Dieser hier ist der letztmögliche, das Ende eines Metiers.“
Im Rückblick belegen diese Kritiken vor allem die Hilflosigkeit angesichts eines Films, der für sein Publikum wohl vor allem als Abfolge großer Momente und als „Erlebnismaschine“ funktionierte. Leones erklärter „Abschied vom Genre“ zeigt eine Tendenz zur Überhöhung, zur Amalgamierung einzelner Sequenzen durch Leitmotive, „match cuts“ und „sound cuts“, zur überladenen Ausstattung und zum exzessiven Einrichten von „tableaux vivants“. Das zentrale Erinnerungsbild im Flashback ist mit seiner gemäldehaften Symmetrie wohl das beste Beispiel. Der Lynchmord im Zentrum des Bildes ist gleich dreifach gerahmt: Von den Tafelfelsen und der Weite des Monument Valley, in dessen Tiefe eine Windhose tobt, von einem frei inmitten der kargen Landschaft stehenden Steinbogen und schließlich vom Mörder und seinen Komplizen, die vor und um Bronsons jüngere Inkarnation und seinen Bruder wie Renaissance-Engel lagern. Dieses in seiner Hyperrealität atemberaubende Panoramabild ist eine der außergewöhnlichsten und erinnerungswürdigsten Einstellungen der Filmgeschichte, beim ersten Sehen auf der großen Leinwand ein nachhaltiger Schock. Im Prinzip hatte Wenders trotz seiner Ablehnung die bemerkenswerte Qualität von Leones Film auf den Punkt gebracht. Statt wie die US-Western eine „Oberfläche aus(zu)breite(n), die nie mehr war als das, was man ihr ansehen konnte“, zeigt der Film „etwas dahinter: die INNENWELT der Western. Die Bilder meinen nicht mehr nur sich selbst“, sondern seien „Westernurszenen.“ Tatsächlich scheinen selbst die Protagonisten dieses Films sich dessen bewusst zu sein. Man sei eine längst überholte Rasse, konstatieren die „Gunmen“, bevor sie sich zum ritualisierten Showdown gegenübertreten. Im Angesicht der aufziehenden Moderne sind die filmischen Stereotypen des stoischen „Loners“ und des sadistischen Schurken nur mehr Figuren einer überkommenen Folklore.
„Spiel mir das Lied vom Tod“ bildet zusammen mit „Todesmelodie“ (1971) und „Es war einmal in Amerika“ (1984) den Auftakt eines Triptychons vom Werden Amerikas, aus der Perspektive eines europäischen Traums, der Amerika als Legende begreift und als historischen Raum weitgehend ignoriert. In diesem Sinn war sein italienischer Titel „C’era una volta il West“ („Es war einmal der West“) eine luzide Zusammenfassung. Im Gegensatz zum deutschen Verleihtitel verweist er auf die populäre Form, den Märchencharakter und den Mythos. Er vereint die romantische Sehnsucht nach dem Vergangenen, den Traum der europäischen Emigranten von der Neuen Welt, die Projektion der Intellektuellen und der italienischen Antifaschisten während der Mussolini-Jahre sowie den mythischen Westen, der in der Nostalgie des Cinephilen fortlebt, der seiner vom Kino genährten Phantasmen der Kindheit gedenkt. Und zugleich unterschlägt der Titel nicht die biografische Enttäuschung über die Entzauberung des Traums: der Weste(r)n, das war einmal, ist nicht mehr, zumindest nicht mehr so wie damals.
„Spiel mir das Lied vom Tod“ war ein Geschenk Europas an die Neue Welt und ihre Kinematografie: Neuanfang und Abschied zugleich, oder in den Worten des britischen Regisseurs John Boorman: die „Apotheose des Western“. Auch darum nimmt er heute einen zentralen Platz im Pantheon der Popkultur ein und gilt einer Vielzahl von gegenwärtigen Hollywoodregisseuren als Bezugspunkt. Filme wie „Assault – Anschlag bei Nacht“ (1976), „Conan, der Barbar“ (1982) und „Schneller als der Tod“ (1995) haben ähnlich wie „Kill Bill“ (2003/04) und „Pirates of the Caribbean – Am Ende der Welt“ (2007) Schlüsselbilder oder ganze Sequenzen aus Leones Film nachgestellt. Selbst die Schrifttafel „Once upon a time in Nazi-occupied France“, die Quentin Tarantinos „Inglorious Basterds“ eröffnet, ist als Hommage an den 1989 gestorbenen Leone zu verstehen.
Es wäre an der Zeit, dass auch in Deutschland, wo „Spiel mir das Lied vom Tod“ vor 40 Jahren mit rund 13 Millionen Zuschauern einer der erfolgreichsten Kinofilme des Jahrzehnts wurde, die kürzlich von Martin Scorsese präsentierte neue, farbkorrigierte Restaurierung in die Kinos kommt.
Hinweis
Im Verlag Bertz & Fischer erscheint im Herbst das Buch „Sergio Leone – Es war einmal in Europa“ (384 S., 25 EUR), in dem sich der Autor ausführlich mit dem Werk Leones befasst.
gruss
helmut _________________ Der Mensch lässt sich grob in zwei Gruppen einteilen: in Katzenliebhaber und in vom Leben benachteiligte.
Francesco Terarca |
|