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arte | 30.11.07: 'Berlin - Die Sinfonie der Großstadt'

 
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4LOM
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Anmeldungsdatum: 28.02.2005
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BeitragVerfasst am: 23 Nov 2007 23:38    Titel: arte | 30.11.07: 'Berlin - Die Sinfonie der Großstadt' Antworten mit Zitat

In der Nacht vom 30. November auf den 1. Dezember 2007 strahlt arte Walther Ruttmanns "Berlin – Die Sinfonie der Großstadt" um 0:20 Uhr in der rekonstruierten Orchesterfassung aus. Um 1:25 folgen Walther Ruttmanns "Opus"-Filme II-IV aus den Jahren 1922 bis 1925.

Zitat:
Ber-liiiin!
„Berlin – Die Sinfonie der Grossstadt“ ist wieder, was es war: eine Sinfonie

Walther Ruttmanns „Berlin – Die Sinfonie der Großstadt“, die semi-dokumentarische Fahrt durch das rhythmische Getriebe eines urbanen Tages, stellte 1927 in vieler Hinsicht neue Weichen. Das gilt nicht zuletzt für die Musik. Am 30. November läuft der wohl musikalischste aller Stummfilme in rekonstruierter Orchesterfassung auf arte, gefolgt von Ruttmanns „Opus“-Filmen II-IV aus den Jahren 1922 bis 1925. Als Vorfilme zu „Berlin“ wäre diese elf Minuten „Augenmusik“ sinnvoll platziert gewesen; „Berlin“ zitiert sie gleichsam eingangs, wenn Wellen zu abstrakten Linien und Linien zu Schranken werden, die sich senken, um die dampfenden Lokomotiven in die Großstadt zu bitten.

Ruttmanns Zeitgemälde ist in der Galerie kanonisierter Glanzlichter des Weimarer Kinos inzwischen ausgebleicht. Zu willfährig boten sich die Aufnahmen jedem Dokumentaristen als Fundgrube vergangener Berlin-Bilder an, kein improvisierender Pianist mit einer Terz Taktgefühl konnte bei der Begleitung viel falsch machen. Vieles passt zu den Ruttmann-Rhythmen im Ballett der Glühbirnen, Stößel, Hebel, Zylinder und Hüte. Der rezeptiven Müdigkeit zum Trotz erklingt das Werk nun so original und splendid wie nie seit der Premiere am 23.9.1927. Es kann sich sehen (das Bundesarchiv-Filmarchiv pirschte sich auf 20 Meter an die 1.466 Meter heran und erzielte höhere Brillanz), vor allem aber hören lassen. Keine „Berlin-Sinfonie“ kam der Originalkomposition Edmund Meisels (1894-1930) näher. Die Quellenlage ist seit Mitte der 1970er-Jahre stabil: Von der Partitur überlebte, dank Hans Feld, ein Klavierauszug mit Instrumenten-Angaben. Er lässt allerdings Lücken. Um sie zu füllen, fühlte sich der vom ZDF beauftragte Komponist Bernd Thewes in die zeitgenössischen Bedingungen ein. Es dürfte nun eine definitive Fassung vorliegen, sofern man im spekulativen Rekonstruktionsgewerbe von „definitiv“ sprechen kann. War das nötig? Durchaus achtbare Versuche vergangener Jahr(zehnt)e begnügten sich mit der „kleinen Lösung“: mal mit drei, mal mit 16 Musikern. Meisels aufwändige Komposition hingegen sah 75 Musiker plus Jazz-Combo vor – allein zahlenmäßig stehen die jetzigen 81 Musiker des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin unter Frank Strobel auf Augenhöhe mit der Originalbesetzung. Gilt „size does matter“ auch für Sinfonien? Manchmal ist Meisels Musik ein Getöse, Stampfen, Schieben. Es tut ihr mitunter gut, die Lautstärke zu drosseln. „An die Herren Kapellmeister“ richtete Meisel ein Begleitschreiben: das forte sei auf piano und das mezzoforte auf pianissimo zu senken. Eine verständliche Bitte. Denn während sich im Bildbogen feinsinnig das abstrakte Lichtspiel des Anfangs mit dem wiederum abstrahierten Lichtgewitter des Feuerwerks verbindet, drängelt die Musik in kühner Montage und komplizierter Kombination aus Potpourri und Collage an die Rampe. Ein furioser Schlussakkord von fast zehn Minuten Länge betäubt Bilder und Bildbeschauer, bevor sie an die Schlussfermate prallen. Die Freiheit, die Meisel sich nahm, gönnte er dem Zuschauer nicht immer. „Leiser“ bedeutet aber nicht unbedingt „weniger Instrumente“.

Meisel, durch seine „Panzerkreuzer Potemkin“-Musik mit Paukenschlag berühmt geworden, beschrieb seine Berlin-Komposition als „eine moderne Sinfonie mit verteiltem Orchester und Vierteltonmusik unter Anwendung neuartiger klanglicher Wirkungen“. Im Klartext: Im Saal platzierte Musiker gellten den Zuschauern den Ber-liiiin-Tusch, das Urmotiv, in die Ohren (ein nicht ganz taufrischer Theatercoup, der im Fernsehen an seine medialen Grenzen stoßen wird); zu Szenen sozialer Armut spielte ein Harmonium, das die Halbtonschritte des Klaviers noch einmal halbierte. Zudem zehrte Meisel von seinen Geräuscheexperimenten an der mit Filmeinblendungen operierenden Piscator-Bühne. Er setzte auf Vielfalt. Die Einsparung an Instrumenten ist für jeden Kämmerer nachvollziehbar. Ästhetisch zeitigt sie oft ein ähnliches Ergebnis, als ersetze man fotografische Aufnahmen durch Zeichentrick. Musikalische Minimierung ist zum Zitieren verdammt: verdienstvoll, aber trotzdem schade. Der Gesamteindruck ändert sich immens, sobald mehr Klangfarben zur Verfügung stehen. Beispielsweise vermögen Streicher weit mehr als Klavier und Schlagwerk das Verstreichen der Zeit zu vermitteln: Ob der Morgen zage zittert oder anklopft, ist ein Unterschied, wenn in Berlins Dämmerung noch die Schaufensterpuppen schlafen und einsame Zeitungen den Bordstein streicheln.

Der „Rhythmus der Großstadt“ ist nicht alles. Der Filmtitel pocht auf „Sinfonie“. Vage ist vieles darunter verstehbar: der Zusammenklang der vielstimmigen Stadt, die Verzahnung von Ruttmanns musikalischem Bildschnitt und Meisels bildgenau gesetztem Ton, einer optisch-akustischen Kreuzung, auf der Schupos wie Dirigenten agieren: Mit Trillerpfeife gebieten sie gleichzeitig sowohl dem Verkehr als auch dem Orchester Einhalt. Erschöpft ist der Begriff damit nicht. Es ist nicht eindeutig, wie ernst Meisel den terminus technicus der „Sinfonie“ nahm. Der Rückgriff auf dieses Relikt des klassischen Wohlklangs, in den 1920er-Jahren längst aus der Mode, hört sich für ein so avantgardistisches Unternehmen eher kontraproduktiv an. Für eine ironische Verwendung spricht jene Szene des Nachtlebens, in der ein Dirigent im gutsituierten Konzertsaal auf sein Pult mit der Partitur zur „Siebenten Sinfonie“ (welche, wenn nicht Beethovens?) tickt und synchron Meisels Musik einsetzt: und zwar nicht festlich-erhaben, sondern keck im flotten Bigband-Sound, beinah schlüpfrig, als Vorgeschmack auf Ruttmanns Schnitt auf Varieté-Tänzerinnen, die sich in wenigen Augenblicken auf der Varieté-Bühne enthüllen. Immer wieder öffnen sich in der „Sinfonie“ musikalische Fenster, so wie sich bildmotivisch Tore, Pforten, Läden, Fensterläden öffnen: Hörbar werden Romantik, Marsch, Charleston. Wer sich mit Meisel als Rhythmiker mit Gebimmel und Gebums begnügt, verschließt vorschnell die Ohren für die Anklänge an den von Bernard Herrmann geschätzten Charles Ives und sein kammerorchestrales „Central Park in the Dark“ (1906). Oder eben an Ludwig van Beethoven.

Im Bemühen, Meisels Werk auf die (Ton-)Spur zu kommen, entdeckte Thewes eine Art „Anti-Pastorale“. Beethovens 6. Sinfonie (1808) griff Ruttmann in Meisels Todesjahr 1930 – inzwischen waren beide zerstritten – in seinem Tonfilm-Hörspiel „Weekend“ wieder auf. Die „Pastorale“ bietet sich nicht nur an, weil Beethovens illustrierende Programm-Musik insgesamt für die Filmmusik bedeutsam ist. Beiden „Sinfonien“ gemein ist die ungewöhnlich hohe Satzzahl. Klassisch gilt das Dreisatzschema. Die Parallelen der fünfsätzigen Pastorale zu den fünf Akten der Berlin-Sinfonie gehen darüber hinaus. Inhaltlich geht es Beethoven um das Verhältnis des Menschen zur Natur – die Berlin-Sinfonie hingegen behandelt den Menschen der Maschinenstadt, beschienen von Osram-Birnen. Beethovens Kuckuck, der Naturruf, wird in Meisels schräger, aufwärts führenden „Ber-liiiin“-Fanfare gleichsam pervertiert. Während Beethoven im Allegro man non troppo das „Erwachen heiterer Empfindungen bei der Ankunft auf dem Lande“ intoniert, eröffnet „Berlin“ mit der Ankunft in der Stadt und stressigem Lokomotiven-Sound. Analog zu Beethovens 4. Satz, dem Allegro „Gewitter, Sturm“, thematisieren Ruttmann-Meisel im 4. Akt meteorologische und soziale Unwetter: Einsetzender Regen begleitet die schwindelerregende Achterbahnfahrt und mündet im nachgestellten Suizid einer verzweifelten Frau auf der Brücke. Bei Beethoven beruhigt sich das Wetter, bei Meisel wirbeln über der Leiche die Strudel der Spree. Eine Pastorale soll von Tod und Trauer künden. Bei Beethoven kommt danach der Trost. Vögel jubilieren leise. Meisel nicht.

„Berlin, die Sinfonie der Großstadt“ wird in der rekonstruierten Orchesterfassung am 30. November in der spätnächtlichen Stummfilmschiene (0.20 Uhr) auf arte gezeigt. Es folgen (01.25 Uhr) Walther Ruttmanns „Opus“-Filme II-IV aus den Jahren 1922 bis 1925.


Ich schätze, daß diese Fassung dann auch in der Edition Filmmuseum-Reihe veröffentlicht wird.


Zuletzt bearbeitet von 4LOM am 14 Jan 2008 15:51, insgesamt einmal bearbeitet
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Dr. Strangelove



Anmeldungsdatum: 02.08.2005
Beiträge: 1806

BeitragVerfasst am: 24 Nov 2007 18:39    Titel: Antworten mit Zitat

Hier eine mal zur Abwechslung eine kleine Anekdote. Als ich den Film im Kino gesehen habe -- und zwar ohne Musik, also stumm --, da war einer, der ständig schnachte und laut atmete was das Zeug hielt. Kurze Zwischenrufe von verschiedenen Seiten, daß er doch zuhause schlafen solle, verhallten wirkungslos, da er bereits kurze Zeit später wieder ins Reich der Träume entglitt. An einer Stelle im Film jedoch sieht man für kurze Zeit einen Mann auf einer Bank schlafen. Sofort fing der ganze Saal an zu toben und es brach ein großes Lachen aus, als die unfreiwillige Synchronisierung wunderbar paßte. Dadurch werde ich den Film wahrscheinlich mein Leben lang nicht mehr vergessen!
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4LOM
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BeitragVerfasst am: 24 Nov 2007 23:43    Titel: Antworten mit Zitat

Geschichten, die das Kino schreibt.
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