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Neophyte Gast
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Verfasst am: 16 Okt 2007 17:38 Titel: |
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Heute wende ich mich mal wieder an meine Ratgeber, in der Hoffnung sie können mir etwas zu 2 Filmen sagen, die in einer Criterion erschienen sind. Es handelt sich dabei um Chris Markers La Jetée & Sans Soleil. Was meint ihr? Kann ich den positiven Kritiken und den sehr guten IMDb Wertungen La Jetée, Sans Soleil trauen? |
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Neophyte Gast
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Verfasst am: 04 Nov 2007 11:10 Titel: |
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o.g. CC ist gekauft. Die Werke eines weiteren, sehr bekannten Regisseurs möchte ich nun Stück für Stück erkunden - Robert Bresson. Ich kenne bisher nur Pickpocket, und bin von ihm absolut begeistert. Meine nächste Wahl wäre Tagebuch eines Priesters. Welche weiteren Titel könnt und oder würdet ihr mir empfohlen haben wollen? |
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Dr. Strangelove
Anmeldungsdatum: 02.08.2005 Beiträge: 1806
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Verfasst am: 04 Nov 2007 11:25 Titel: |
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Ganz wunderbar ist "Au hasard Balthazar" [F 1966, Robert Bresson], "Journal d'un Curé de Campagne" [F 1951, Robert Bresson] allerdings auch. Mein persönlicher Favorit ist allerdings der Esel Balthazar.
Hier mal zwei Kurzrezensionen, die ich im Filmdienst gefunden habe:
Zitat: | Journal d'un Curé de Campagne: Die unauffällige, von seelischem Kampf und Krebskrankheit gezeichnete Existenz eines jungen Pfarrers in der kleinen flandrischen Landgemeinde Ambricourt. Eine von großer optischer Klarheit und Einfachheit bestimmte, bekenntnishaft-monologische Romanverfilmung. Bresson schildert das Ringen eines katholischen Christen und Priesters um die Gnade des Glaubens in einer heillos erscheinenden Welt.
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Zitat: | Au hasard Balthazar: Um das Schicksal eines meist verachteten und geschundenen Esels namens Balthasar ranken sich episodisch die Schicksale eines jungen Mädchens, des Nachbarjungen, ihrer Eltern und anderer Personen. Bressons Meisterwerk ist von hohem spirituellem Interesse, das sich gleichnishaft und in fast meditativem Erzähl- und Bildrhythmus des Tieres als anthropomorph gestalteten Stellvertreters für die menschlichen Leiden an Gewalt, Unrecht, Lieblosigkeit, Liebesunfähigkeit bedient und damit eine merkwürdige neue Passionsgeschichte ausbildet. Berühmt auch die mystisch anmutende Schlußsequenz mit dem Sterben Balthasars inmitten einer Schafherde. Der gleichnishafte Charakter des schwierigen Films, verbunden mit verschiedenen religiösen Details, legt eine Interpretation aus dem Evangelium nahe. |
_________________ "Un artiste est toujours jeune" Jean-Marie Straub |
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Neophyte Gast
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Verfasst am: 04 Nov 2007 14:20 Titel: |
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Dank dir. Klingt beides hervorragend. |
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4LOM Administrator
Anmeldungsdatum: 28.02.2005 Beiträge: 3350 Wohnort: North by Northwest
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Verfasst am: 05 Nov 2007 00:49 Titel: |
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Ich konnte vor kurzem ein tolles Bresson-Paket bei eBay ergattern:
"Au hasard Balthazar" und "Pickpockt" von Criterion + "Un condamné à mort s'est échappé ou Le vent souffle où il veut / A Man Escaped [DVD-Titel]" und "Lancelot du lac / Lancelot of the Lake [DVD-Titel] von New Yorker + "L'Argent" von Artificial Eye + "L'Argent"-Buch vom BFI + "Une femme deuce"-VHS-Rip auf DVD-R ...
... für gerade mal 40 Euro plus ein paar Euro Porto. |
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Neophyte Gast
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Verfasst am: 05 Nov 2007 18:00 Titel: |
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4LOM hat folgendes geschrieben: | Ich konnte vor kurzem ein tolles Bresson-Paket bei eBay ergattern:
"Au hasard Balthazar" und "Pickpockt" von Criterion + "Un condamné à mort s'est échappé ou Le vent souffle où il veut / A Man Escaped [DVD-Titel]" und "Lancelot du lac / Lancelot of the Lake [DVD-Titel] von New Yorker + "L'Argent" von Artificial Eye + "L'Argent"-Buch vom BFI + "Une femme deuce"-VHS-Rip auf DVD-R ...
... für gerade mal 40 Euro plus ein paar Euro Porto. |
Wahnsinn. Ich gebe dir mal meine Adresse, dann kannste'se mir zuschicken - Gratis versteht sich |
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4LOM Administrator
Anmeldungsdatum: 28.02.2005 Beiträge: 3350 Wohnort: North by Northwest
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Verfasst am: 05 Nov 2007 18:53 Titel: |
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Neophyte hat folgendes geschrieben: | Wahnsinn. Ich gebe dir mal meine Adresse, dann kannste'se mir zuschicken - Gratis versteht sich |
Ja, oka... Hey warte! Bei dem Geschäft komme ich ja wohl schlecht weg. Nix da.
Hier noch ein interessanter Text zu Bresson:
Zitat: | Kino des Unsichtbaren
Themen und Motive in den Filmen Robert Bressons
Die Spannung ist ins Unermessliche gestiegen. Endlich hat Fontaine, die Hauptfigur in Robert Bressons Film „Ein zum Tode Verurteilter ist entflohen“ (1956), mit seinem Zellennachbarn den Ausbruch aus dem Gefängnis der Deutschen gewagt. Die ersten Mauern sind überwunden, doch nun steht dort als weiteres Hindernis ein Wachsoldat. Fontaine muss ihn niederschlagen. Was nun folgt, hätte nahezu jeder andere Regisseur vermieden. Bresson tut nämlich scheinbar gar nichts. Er zeigt die leere Mauer, an der eben noch Fontaine stand, man hört ein paar Geräusche, und Bressons Held ist wieder zurück. Ist der Wachmann tot oder nur bewusstlos geschlagen? Wie geschah es? Alles das müssen sich die Zuschauer selbst ausmalen. Diese Szene, der radikale Verzicht auf den - nach Maßstäben des Action-Kinos - Höhepunkt des Films, ist eine Schlüsselszene für das Kino Bressons. Es ist ein Kino der Reduktion, des Auslassens und Nicht-Zeigens. Immer wieder verweist der Regisseur auf die Imaginationskraft des Zuschauers, zeigt allenfalls Teile eines größeren Ganzen.
Schon zuvor zeigte Bresson einen ersten Fluchtversuch Fontaines. Auch da begleitete die Kamera den Protagonisten nicht, blieb auf den leeren Sitz gerichtet. Schüsse sind zu hören, ein Moment der Ungewissheit, und Fontaine wird wieder auf seinen Platz gedrückt - Bressons Kamera hatte es schon zuvor erzählt. Dann beobachtet sie minutenlang die Hände Fontaines, wie sie an den Wachen vorbei einen Löffel entwenden, später noch einen, wie deren Griffe auf dem Steinfußboden zurecht gefeilt werden, um dann mühsam Holzfüllungen aufzuschaben, ein Türbrett nach dem anderen zu lockern, schließlich den Fluchtweg zu öffnen. Oder viel später in „Lancelot, Ritter der Königin“ (1974): Einer der Höhepunkte des Films ist ein großes Ritterturnier, bei dem Lancelot einen Kontrahenten nach dem anderen besiegt. Was man davon sieht, ist wenig: Pferdehufe, Teile der Rüstungen, die Gesichter der Ritter, ein Wappen und die Zuschauer, deren Reaktion im Verein mit der Tonspur alles Weitere erzählt.
Blindheit
Wenn er zwischen Blindheit und Taubheit zu wählen hätte, so Robert Bresson in seinem berühmten Interview mit François Weyergans, dann würde er keine Sekunde zögern, und sein Augenlicht opfern. Das Ohr sei „kreativer, als das Auge“. Ein merkwürdiges, bemerkenswertes Bekenntnis für einen Filmregisseur. Bressons Filme versuchen, das Unsichtbare zu zeigen. Immer will er ein Mysterium bewahren, bestimmte Dinge der Vermutung überlassen; man sieht nur, was man wirklich sehen muss. Es gehe Bresson bei dieser Verfahrensweise nicht ums Weglassen, sondern ums Aufschieben, meinte François Truffaut zu diesem Bruch mit den Selbstverständlichkeiten des Zeigens im Kino. Aber es bleibt unübersehbar, dass sich Bresson für konventionelle Dramaturgien, für Suspense und die Erklärung all der Zusammenhänge, nach denen auch das Nicht-Mainstream-Publikum verlangt, nie interessiert hat. Nie erfährt man zum Beispiel, warum Fontaine überhaupt inhaftiert wurde.
Am 18. Dezember 1999 starb Robert Bresson, geboren am 25.September 1901 (vgl. fd 2/2000, S. 6). Zunächst, heißt es, wollte er Maler werden. Eine Weile arbeitete er als Modefotograf, bevor er Ende der 30er-Jahre zum Film fand. 1943 drehte er seinen ersten Film „Das Hohelied der Liebe“ nach einer Drehbuchvorlage von Jean Giraudoux. Bei den meisten seiner nur 13 Spielfilme handelt es sich um Literaturverfilmungen. In der Regel steht ein einzelnes Individuum im Zentrum der Geschichten. Die Helden Bressons lachen selten. In ihrer Welt sind sie Außenseiter, Einzelgänger, nicht frei von Überheblichkeit, unsicher, unversöhnt und doch in sonderbarer Weise ihrer selbst gewiss. Am meisten gilt das vielleicht für Charles, die Hauptfigur von „Der Teufel möglicherweise“ (1976). In traumwandlerischer Unabhängigkeit wandert der Jüngling durch die Gesellschaft der 70er-Jahre. Auf der Suche nach einem Sinn des Lebens versucht er sich im Engagement für Umweltschützer, zugleich findet er Kontakt zu einer linksextremen Studentengruppe. Als ihn das nicht zufrieden stellt, geht er zu einem Psychoanalytiker, nimmt Drogen, hat verschiedene Freundinnen, findet eine wahre Liebe. Wirklich kennen lernt man den seltsam Abwesenden eher aus den Gesprächen seiner Freunde als durch sein Handeln. Am Ende des Films scheint er endgültig aller Hoffnungen beraubt und lässt sich - wie beiläufig - von einem Freund auf dem Pariser Friedhof Père-Lachaise erschießen.
Dieser Film kann - eine Ausnahme bei Bresson - auch als direktes politisches Statement gelesen werden: als Abrechnung mit den politischen Hoffnungen der Revolte von 1968 und mit einer naturzerstörenden, sozial korrupten Gesellschaft, fast mehr noch aber mit hohlen Phrasen der politischen Linken. Bressons eigentliches Thema aber ist die tiefe Hoffnungslosigkeit, die jede Epoche übergreift. So wie man Charles erlebt, ist ihm auf Erden nicht zu helfen. Grundsätzlicher Pessimismus prägt das Weltbild von Bressons Filmen. Etwa am Anfang von „Pickpocket“ (1959): „Es ging uns extrem gut. Das konnte nicht so bleiben.“ Die Welt ist ein ausweglos geschlossener Raum, das Verhängnis metaphysische Notwendigkeit. Bressons Helden müssen lernen, ihr Schicksal zu akzeptieren, erst dann werden sie von der Last befreit, die sie zu tragen haben. Oft genug gibt es diese Befreiung erst im Tod. Gerade in den späteren Filmen steht er fast immer am Ende, und oft handelt es sich um einen Selbstmord. Nicht nur der quälend ausführlich inszenierte Schluss von „Mouchette“ (1966) oder der Fenstersturz der „femme douce“ in „Die Sanfte“ (1968), auch bei Jeanne d’Arcs Ende am Brandpfahl („Der Prozeß der Jeanne d’Arc“, 1961), dem Kampfestod Lancelots und bereits dem Sterben des jungen Priesters („Tagebuch eines Landpfarrers“, 1951) handelt es sich um nur oberflächlich verkappte Suizide. Mit ihm wird eine schlechte Welt endgültig negiert, keine der Hauptfiguren hat einen wirklichen Grund, am Leben zu bleiben.
„Zu viel Licht verdunkelt“
„Die Bibel!“ Man hört diesen Ausruf in „Ein zum Tode Verurteilter...“ kurz bevor Fontaine den für die spätere Flucht entscheidenden zweiten Löffel entwenden kann. Ein barmherziger Eingriff Gottes in die Welt, für Bresson zugleich ein Moment, die Spiritualität innerer Erfahrungen ins Kino zu transferieren. Dass er persönlich ein gläubiger Katholik sei, hat der Mensch Bresson nie geleugnet. Inwieweit aber ist er ein katholischer Regisseur? Auch wenn Heiligenfiguren, religiöse Orte und christliche Sujets unverkennbar einen wichtigen Platz in diesem Kino einnehmen, steht dem doch Bressons erwähnte Vorliebe für suizidale Auswege entgegen. In seiner Abhandlung über den „trancendental style“ im Film wertete Paul Schrader Bresson und seine innerweltliche Ablehnung der Welt als ein zentrales Beispiel für das „Kino als Ausdruck des Heiligen“, allerdings eines nicht enger religiös verstandenen Heiligen. „Da gibt es die Anwesenheit von etwas, das ich Gott nenne, aber das will ich nicht zu sehr zeigen. Ich bevorzuge es, die Leute fühlen zu lassen“, meinte Bresson im Interview mit Schrader. Die These vom „Jansenist des Kinos“ war in vielen Nachrufen zu lesen. Ein Hauptmotiv der Jansenismus kehrt bei Bresson auch wieder: Die Wahl zwischen Verdammnis und Gnade, die nur einigen Auserwählten zukommt, und das Verschwinden der Freiheit. Tatsächlich scheint Bresson Weltanschauung auch der Philosophie seines Landsmanns Pascal nahe zu kommen. Dessen Satz „Zu viel Licht verdunkelt“ hätte auch Bresson im Zusammenhang mit dem Kino formulieren können. Auch Bressons Gott ist ein „deus absconditus“, ein verborgener Gott. Er ist immer, erscheint aber so gut wie nie. Und die Menschen, auf die der Blick Gottes gefallen ist, können offenbar nicht mehr lange leben.
Unverkennbar ist andererseits der zeittypische Bezug zur existentialistischen Philosophie. Auch Bresson schildert die Ausgesetztheiten des Menschen, seine „Geworfenheit“ (Heidegger) in eine absolut heillose Welt. „Nur ein Gott kann uns retten.“ Das hätte Bresson sagen können, der hier den Klagen Heideggers über die Seinsvergessenheit und den Verlust des Ernstes sicher näher steht als den Vorstellungen des „Menschen in der Revolte“ von Camus und Sartre, die auch die Freiheit in der Welt gerade wieder für möglich halten. Bresson stellt seine Figuren als Einzelne in Opposition zu den Vielen; die Anderen sind hier wortwörtlich die Hölle, so wie die Protagonisten das Heilige anstreben. Öfters zeigt Bresson - zum Beispiel beim Turnier des Lancelot, bei Jeannes Ende im Feuer - seine Figuren im Wechselspiel mit einer zuschauenden Menge, die so blickt, wie ein Kinopublikum auf die Leinwand schaut. So interessiert und zugleich distanziert sind sie, dass diese freundliche Objektivität einen obszönen Zug bekommt.
Anti-Bürger
Den Blicken der Anderen ausgesetzt ist auch der Protagonist in „Tagebuch eines Landpfarrers“. Der Feindseligkeit und moralischen Korruption der Menschen in dem Dorf, in das der Priester geschickt wird, tritt er ungerührt, konsequent entgegen. Bresson schildert den jungen Priester als zwiespältige Figur: selbstgewiss bis zur Arroganz, zugleich eine tief verwundete Seele, voller Skrupel im Hader mit sich selbst; asketisch und ein Alkoholiker, spröde, ohne Charme und unhöflich. Gerade weil der Ernst hier so weit vorangetrieben wird, dass es schon fast als Ironisierung wirkt, fällt auf, wie humorlos das Kino Bressons ist: todernste Geschichten von Leiden und Reinigung, die an eine Ordnung der Dinge glauben, die sich außerhalb der Welt befindet, die sie beschreiben. Bevor sie der längst akzeptierte Tod erlöst, finden sie Frieden nur in der Gewissheit, Vertreter einer anderen Ordnung zu sein, die nicht die der Vielen ist. Nicht zufällig trifft der Landpfarrer, nachdem er das Dorf verlassen hat, auf den Vertreter eines anderen Männerbundes, einen Fremdenlegionär. Die Parallele, die indirekt zwischen Legion und Kirche gezogen wird, ist die Verneinung: Auch der Priester muss bei Bresson ein Anti-Bürger sein.
An anderen Filmemachern orientierte sich Bresson kaum, allenfalls an Ozu oder Dreyer. Wie seine Figuren auch war er ein Einzelgänger, der isoliert, aber sehr konsequent seinen Weg ging. Bresson erzählt in geradezu bleierner Linearität. Abrupt reihen sich die Bilder aneinander, dort, wo möglich, verzichtet er auf Kamerafahrten oder anderes, was die Zuschauer seine Mittel spüren lässt. In wenigen pathetischen Momenten ist Musik zu hören: die Pariser Pickpockets erreichen ihre Vollendung zu den Klängen Lullys, Charles hält auf dem Weg zum Selbstmord ein einziges Mal kurz inne, als aus einem Fenster Mozart zu hören ist. Mozart begleitet auch die Flucht Fontaines, Monteverdi den Suizid Mouchettes. Hier hat sogar das karge Kino Bressons etwas Üppiges, Schwelgerisches, das umso schwerer wiegt angesichts seiner sonstigen Sprödigkeit. Auf Schauspieler hat Bresson bereits seit Anfang der 50er-Jahre nahezu völlig verzichtet. Mit bis zu 50 Takes trieb er seine Laiendarsteller in eine gewollte Besinnungslosigkeit: Das war der Moment, an dem sie das Spielen sein ließen und in den meditativen, schlafwandlerischen Ton fielen, den er wünschte. Zerstörung des Vorhandenen, Warten auf das Neue war das Rezept, das Bresson selbst als „Automatismus“ verstand: „Ich bringe meinen Modellen bei, den Text rein mechanisch zu sagen, so wie der Pianist eine Klavierübung macht.“ Von „Schauspielern“ oder „Interpreten“ will er gar nicht reden, sondern von „Protagonisten“ und „Modellen“. Antitheatralisch, vom Äußeren ins Innere soll das Spiel führen.
Ein Auge, ein Verstand
Gewiss hatte Bresson, der nicht von „Cinéma“ sondern von „Cinématographie“ sprechen wollte, ein völlig anderes Kino im Sinn: „Wenn Kino eine Kunst werden soll, muss ein völliger Wechsel stattfinden.“ Zukünftige Filmemacher würden, glaubte er, „so mit Film schreiben, wie wir heute mit Feder und Tinte“. Zugleich glaubte er - bei allem Avantgardismus ein Konservativer - an den einen möglichen Blick, an die Möglichkeit, „exakte“ und „wahre“ Filme zu machen, nicht nur Sichtweisen zu geben: „Was an Filmen schockiert, ist, dass sie durch mehrere Augen gefilmt sind. Es darf aber nur ein Auge und einen Verstand geben.“ Zu den wesentlichen stilistischen Züge im Kino Bressons gehört neben der Konzentration aufs Allerwesentlichste vor allem noch zweierlei: zum einen die Wiederholungen des Immergleichen. Wiederholung, das ist etwa die Monomanie der Kämpfe im Lancelot-Film. Die minutenlangen Wechsel zwischen dem immer mehr von Rauch umhüllten Scheiterhaufen, dem leeren Pfahl am Ende und den Zuschauern, zuvor bereits die Monotonität der Verhöre und der Torturen, die die junge Frau ertragen muss. Das Zweite ist Bressons meditative Konzentration auf das Naheliegendste. Sein Kino erinnert an das Vorgehen seines Verurteilten Fontaine: „Ich musste diese Tür aufhaben. Was dann, wusste ich nicht.“ Bressons Filme behandeln auch die Körper, vor allem die Gesichter der Menschen wie Gegenstände, und umgekehrt die Dinge wie belebte Körper. Siegfried Kracauer spricht vom „Umschmeicheln“ des Objekts bei Bresson. Manchmal zeigt Bresson auch einfach nur, wie etwas gemacht wird. Man erfährt, wie man aus einem Gefängnis ausbricht, begleitet in „Pickpocket“ das Training der Taschendiebe, das Ritterhandwerk, in „Das Hohelied der Liebe“ den Alltag im Kloster oder eben das Leben eines Pfarrers auf dem Land.
Bresson hatte Feinde: Das Theater vor allem, das ihm der Inbegriff des Gemachten, Gekünstelten war, gegen das er mit jedem Bild ankämpfte. Hollywood natürlich, überhaupt „Cinéma“. Auch für diesen Hass haben ihn manche Cineasten geliebt. Viele Andere haben ihn geliebt, auch wenn sie die Strenge Bressons nie teilten: Louis Malle oder Truffaut, deren Filmen man den immer wieder betonten Einfluss Bressons nur in wenigen Momenten anmerkt. Die Filmemacher der französischen „Nouvelle Vague“ schätzten Bresson wohl in erster Linie als Beispiel für die Souveränität des Auteurs gegenüber den Zwängen der Industrie, aber auch den Ansprüchen des Mehrheitspublikums, wegen seiner völligen Kontrolle über eigene Filme. Die Leichtigkeit und Geschmeidigkeit ihrer Filme findet man bei Bresson nur selten. In den elegischen Diebstahl-Szenen aus „Pickpocket“ etwa, dem Kriminalfilm, den viele für Bressons bestes Werk halten.
Wer Bressons Gesamtwerk heute zum ersten Mal sieht, begegnet Filmen, die wie „Anti-Kino“ gegen nahezu alle Prämissen, ästhetische Vorlieben und Erzähl-Logiken opponieren, nach denen heute - nicht nur in Hollywood - Filme gemacht werden. Manchmal glaubt man, in dem elitären Ernst vieler Momente, dem offen zur Schau getragenen Geistesaristokratismus Bressons noch eine zweite Geschichte erzählt zu bekommen: die vom Ende, oder besser: vom Nicht-mehr-Funktionieren einer bestimmten Kunst-Avantgarde des 20. Jahrhunderts. Denn natürlich stimmt auch hier, was eine gnädige Kritik im Zusammenhang mit Bresson trotz aller Misserfolge an der Kinokasse schon immer betonte, erst recht sogar: Man muss, will man etwas von diesen Filmen haben, sich auf sie einlassen. Bresson - auch das sollte nicht übersehen werden - tut kaum etwas dafür, dass diese Annährung gelingt. Selten übersieht man, dass ihm, der sich wie alle Künstler über Resonanz gefreut hat, sein Publikum insgeheim vor allem der Widerstand war, der gebrochen werden wollte - bis es ihm bedingungslos gehörte. |
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Dr. Strangelove
Anmeldungsdatum: 02.08.2005 Beiträge: 1806
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4LOM Administrator
Anmeldungsdatum: 28.02.2005 Beiträge: 3350 Wohnort: North by Northwest
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Verfasst am: 06 Nov 2007 21:36 Titel: |
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Dr. Strangelove hat folgendes geschrieben: | Ein sehr schöner Text! Was ist denn die Quelle? |
Film-Dienst 08/2000 |
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Dr. Strangelove
Anmeldungsdatum: 02.08.2005 Beiträge: 1806
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Verfasst am: 06 Nov 2007 21:40 Titel: |
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4LOM hat folgendes geschrieben: | Dr. Strangelove hat folgendes geschrieben: | Ein sehr schöner Text! Was ist denn die Quelle? |
Film-Dienst 08/2000 |
Stimmt, jetzt habe ich es auch gefunden, ein Text von Rüdiger Suchsland. Manchmal hat der Filmdienst doch helle Momente. In letzter Zeit ist er mir aber zu akademisch und steril geworden, weshalb ich ihn auch kürzlich abbestellt habe. Wenn ich jedoch solche Texte wie oben lese, bereue ich es fast wieder. _________________ "Un artiste est toujours jeune" Jean-Marie Straub |
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Neophyte Gast
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Verfasst am: 23 Nov 2007 18:46 Titel: |
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Dr. Strangelove hat folgendes geschrieben: | Zitat: | Au hasard Balthazar: Um das Schicksal eines meist verachteten und geschundenen Esels namens Balthasar ranken sich episodisch die Schicksale eines jungen Mädchens, des Nachbarjungen, ihrer Eltern und anderer Personen. Bressons Meisterwerk ist von hohem spirituellem Interesse, das sich gleichnishaft und in fast meditativem Erzähl- und Bildrhythmus des Tieres als anthropomorph gestalteten Stellvertreters für die menschlichen Leiden an Gewalt, Unrecht, Lieblosigkeit, Liebesunfähigkeit bedient und damit eine merkwürdige neue Passionsgeschichte ausbildet. Berühmt auch die mystisch anmutende Schlußsequenz mit dem Sterben Balthasars inmitten einer Schafherde. Der gleichnishafte Charakter des schwierigen Films, verbunden mit verschiedenen religiösen Details, legt eine Interpretation aus dem Evangelium nahe. |
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Ich habe den Film nun gesehen, und wollte hier nur kurz meine Begeisterung für diesen umwerfenden Meilenstein der Filmgeschichte kund tun. Ich mag Bresson von Film zu Film mehr, und kann verstehen warum er einer von Bergmans Lieblingsregisseuren war. Weitere "Filmsichtungen" werden selbstverständlich folgen... sehr bald sogar. |
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Dr. Strangelove
Anmeldungsdatum: 02.08.2005 Beiträge: 1806
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Verfasst am: 23 Nov 2007 22:10 Titel: |
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Neophyte hat folgendes geschrieben: | Ich habe den Film nun gesehen, und wollte hier nur kurz meine Begeisterung für diesen umwerfenden Meilenstein der Filmgeschichte kund tun. Ich mag Bresson von Film zu Film mehr, und kann verstehen warum er einer von Bergmans Lieblingsregisseuren war. Weitere "Filmsichtungen" werden selbstverständlich folgen... sehr bald sogar. |
Was genau hast du denn an dem Film speziell bewundert, außer daß Bergman von ihm begeistert war? Ansonsten hast du natürlich recht, es ist ein toller Film. _________________ "Un artiste est toujours jeune" Jean-Marie Straub |
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Neophyte Gast
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Verfasst am: 25 Nov 2007 18:23 Titel: |
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Dr. Strangelove hat folgendes geschrieben: | Neophyte hat folgendes geschrieben: | Ich habe den Film nun gesehen, und wollte hier nur kurz meine Begeisterung für diesen umwerfenden Meilenstein der Filmgeschichte kund tun. Ich mag Bresson von Film zu Film mehr, und kann verstehen warum er einer von Bergmans Lieblingsregisseuren war. Weitere "Filmsichtungen" werden selbstverständlich folgen... sehr bald sogar. |
Was genau hast du denn an dem Film speziell bewundert, außer daß Bergman von ihm begeistert war? Ansonsten hast du natürlich recht, es ist ein toller Film. |
Die ganze Herangehensweise. Das Thema an sich. Godard hatte schon Recht als er sagte "Der Film ist das Leben in 90 Minuten." |
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Neophyte Gast
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4LOM Administrator
Anmeldungsdatum: 28.02.2005 Beiträge: 3350 Wohnort: North by Northwest
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Verfasst am: 02 Dez 2007 19:45 Titel: |
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Ein Artikel zur Musik-Rekonstruktion von "Alexander Newski" aus dem Jahr 2003:
Zitat: | Schlachtengemälde
Zwischen Kino, Oper und Ballett: Rekonstruktion und Uraufführung von „Alexander Newski“
Sergej Prokofjew meinte, dass im Kino nicht die Musik im Vordergrund stünde. Dies hielt ihn jedoch nicht davon ab, seine Arbeiten zum jungen Medium Film mit dem gleichen Ernst und Enthusiasmus zu verfolgen wie seine Kompositionen fürs Musiktheater. Womit ein Stichwort für eine faszinierende Idee gegeben ist: Was passiert, wenn man Prokofjews Musik und Sergej Eisensteins Bilder im Konzertsaal zusammenführt? Kann ein solches „Filmkonzert“ die Verhältnisse neu gewichten? Zum 50. Todestag Prokofjews würdigten den Komponisten eine konzertante Aufführung zum Filmfragment „Pique Dame“ (1937) als Vorstufe zum eigentlichen cineastischen Event: der Darbietung von „Alexander Newski“ (1938) mit Live-Orchester und Leinwand im Berliner Konzerthaus am Gendarmenmarkt.
Temperamentvolle Melodien
Die Rezeptionsgeschichte beider Filmmusiken ist verworren. Zwar begann Regisseur Michail Romm 1937 mit den Aufnahmen zu „Pique Dame“, der Ministerrat der UdSSR stoppte jedoch die Produktion. Prokofjews Aufzeichnungen zu „Pique Dame“ lagern als Handschrift im Archiv für Literatur und Kunst in Moskau. Eine Orchesterpartitur existiert nicht. Prokofjew erstellte lediglich eine Klavierdirektion, versehen mit detaillierten Orchestrierungsangaben. Michail Jurowski komplettierte die Partitur und brachte mit dem Rundfunk Sinfonieorchester Berlin am 4. Oktober unter tosendem Applaus ein Stück vergessener Filmgeschichte zu Gehör. Energetisch beschwingt erklingen die temperamentvollen Melodien zu insgesamt 24 Ausschnitten, die mit Szenenanweisungen wie „Umherschweifen – Hermann vor dem Haus der Gräfin – Lisa – Hermann zu Hause“ überschrieben sind. Prokofjew beschränkt sich auf drei Leitmotive zur Charakterisierung von Hermann, der Gräfin und Lisa, um sie von sanfter Schwermut über unschuldige Liebeslyrik zu ausgelassenen Tänzen auszuarbeiten. Wenngleich die Musik den starken Wunsch erzeugt, die Kopfbilder mit dem tatsächlich gedrehten, aber nie fertig gestellten Filmmaterial rückzukoppeln, besitzt die konzertante Aufführung ihre Berechtigung schon vor dem Hintergrund, dass Prokofjew „Pique Dame“ als eigenständiges Opus mit der Nummer 70 versah.
Die Uraufführung von „Pique Dame“ verdeutlicht Prokofjews filmkompositorische Entwicklung, die in der Zusammenarbeit mit dem geistesverwandten Regisseur Eisenstein zur Perfektion gelangte. Die sowjetische Kulturbürokratie beargwöhnte beide als „Westler“ und „Kosmopoliten“. Mit dem für Stalin politisch versöhnlichen Filmstoff zur historischen Figur des „Alexander Newski“ (1220- 1263) entstand eine Liebeserklärung an das russische Volk. Eisenstein gestaltet Newski als eindimensionalen Charakter, der den Regeln des Propagandafilms folgt: Russland wird von teutonischen Ordensrittern überfallen. Sie belagern die Stadt Pskov bei Novgorod. Russische Würdenträger entscheiden daraufhin, dass Alexander die Verteidigungsschlacht anführen sollte. In der spektakulären Schlacht auf dem gefrorenen Peipussee am 5. April 1242 besiegt sein Heer die nach Russland eingedrungenen deutschen Ordensritter. Der Film stilisiert die Invasoren zu geschichtlichen Vorläufern des faschistischen Deutschlands und kommentiert damit nicht nur die mittelalterlichen Verflechtungen zwischen den Nationen.
Eisenstein formulierte bereits 1928, dass mit dem Tonfilm ein Traum Wirklichkeit geworden sei. Ihm ging es jedoch nicht darum, durch eine naturalistische Klangaufzeichnung lediglich die Illusion sprechender Menschen sensationalistisch auszubeuten, sondern die Vorzüge der Montagetechnik zu bewahren und den Ton kontrapunktisch zu verwenden. So konterkarieren Instrumente und Chor als musikalischer Subtext die Ebene der Geräusche und Dialoge. Aufgrund des begrenzten Frequenzspektrums des Lichttonverfahrens vermittelt der Filmton nur einen dumpfen Abglanz der voluminöskomplexen Orchestrierung Prokofjews. Da der Komponist Teile der Filmmusik zu einer knapp halbstündigen Kantate umgestaltete, beschränkte sich die Wahrnehmung meist auf diese Einspielungen, selten auf den schrillen, teils übersteuerten undurchsichtigen Originalton. Hier kommt der Berliner Aufführung eine besonders verdienstvolle filmhistorische Bedeutung zu.
Aufwändige Rekonstruktion
Zur Rekonstruktion galt es, eine Vielzahl von Hindernissen zu überwinden. Erstens existiert keine öffentlich zugängliche Partitur zu Prokofjews Filmmusik; zweitens liegen keine Mehrspurbänder vor, um Musik, Sprache und Geräusche des Films zu trennen. In einer konzertierten Aktion des Radio Sinfonie Orchesters Berlin mit ZDF, arte, dem DeutschlandRadio, den Berliner Festwochen, der Europäischen Film Philharmonie und den Sikorski-Musikverlagen begann eine der aufwändigsten filmmusikalischen Rekonstruktionsarbeiten. Das ZGALI- und Glinka-Museum in Moskau stellte die ursprünglichen Manuskripte der Filmmusik zur Verfügung. Frank Strobel fügte die unvollständigen und ungeordneten Aufzeichnungen für die „Uraufführung“ zu einer Orchesterpartitur zusammen. Im Gegensatz zu Strobels bisherigen Arbeiten ergab sich das zusätzliche Problem, dass „Alexander Newski“ zwar über weite Strecken als Stummfilm konzipiert ist, zahlreichen Sequenzen aber auch Dialoge und Geräusche unterlegt sind. Mit den neuen Möglichkeiten der digitalen Klangmanipulation gelang es Tonmeister Wolfgang Nehls vom DeutschlandRadio, die verschiedenen akustischen Ebenen des Filmtons weitgehend zu separieren. Die Herausforderungen für die Live- Aufführung blieben weiterhin immens. „Prokofjew arbeitete wie ein Uhrwerk. Diese Uhr ging nicht vor oder nach. Er traf – einem Scharfschützen gleich – genau ins Herz der Zeit.“ Eisensteins Charakterisierung seines Komponisten kennzeichnet nicht nur die messerscharfen musikästhetischen Stimmungswechsel, die den Filmmontagen entsprechen, sondern auch das Gefühl für Timing. Eisenstein nahm die musikalische Perspektive im Film so ernst, dass er verschiedene Passagen zuerst von Prokofjew auskomponieren ließ, bevor er die dazugehörigen Szenen filmte. Die ernorme Verzahnung von Bild und Musik erhöht den Anspruch an die schnittgenaue Einspielung im Konzerthaus. Hinzu kommt der Umstand, dass unter einigen Dialogpassagen die Filmmusik nur unterdrückt, nicht jedoch entfernt werden konnte. Erst wenn das Orchester eine Synchronisation im Millisekundenbereich mit der Tonspur erreicht, verschwindet der Filmton hinter der live gespielten Musik. Der perfektionistische Dirigent Frank Strobel vermag den Anschein zu erwecken, die Filmbilder folgten der musikalischen Dramaturgie seines fast 200-köpfigen Klangkörpers, dem Radiosinfonieorchesters Berlin und dem Ernst-Senff-Chor. Volker Schlöndorff zeigte sich nach der Aufführung beseelt von dem audiovisuellen Ergebnis. „Es war der schönste Kulturabend, den ich dieses Jahr erlebt habe. Es ist ganz große Oper, ganz großes Kino. Es ist sehr bewegend gewesen.“
Aura des Magischen
In der Tat umwebte das Filmkonzert die Aura des Magischen. Das Amalgam von Konzertereignis und bewegten Bildern löst das Werk aus dem Vertriebsnetz der technischen Reproduktion, gibt ihm den Charme des Einmaligen zurück und bedingt ein gesteigertes sinnliches Erleben. Schlöndorff hat mit den Begriffen „Oper“ und „Kino“ die Zwitterstellung der Aufführung treffend benannt. Prokofjew koppelte seine Musik zu Balletten wie „Ala und Lolly“ (1916) oder „Romeo und Julia“ (1936) mit dem Musiktheater rück; Eisenstein greift dieses Talent auf und konzipiert sein patriotisches Schlachtengemälde im Stile einer Oper, zwingt schauspielerische Dialogszenen, Gesang, Musik und Filmbilder zu einer Einheit. Nach Abschluss der Dreharbeiten inszenierte er als Zeichen der neuen politisch- militärischen Verständigung zwischen Deutschland und Russland im Hitler-Stalin-Pakt „Die Walküre“ aus Wagners dem Nibelungenring. Dabei gründete er seine Bühneninszenierung auf den Experimenten von „Alexander Newski“. Das audiovisuelle Erlebnis von „Alexander Newski“ im Konzerthaus ist in verschiedener Hinsicht bemerkenswert. Die Filmmusik weicht deutlich von der Kantate in ihrem emotionalen Duktus und der Orchestrierung ab. Stumm- und Tonfilmepoche kommen zur Kongruenz. Dank transparenter, dreidimensionaler Orchesterführung steigt die emotionale Involvierung um ein Vielfaches. Das einfach gehaltene Libretto erhält nicht nur durch die ausgeklügelte Bildregie sondern gerade auch durch die Musik ihre Tiefe. So lassen sich Alexander Newskis Reden als Arien interpretieren. Duette und Terzette kennzeichnen die Interaktionen der Handlungsträger Vasili, Gavrilo und Olga. Eine Art griechischen Chor bilden die Fischer und Krieger in Massenszenen. Die finale Schlacht auf dem Eissee erinnert in ihrer Dramaturgie an ein Ballett. Dabei folgt die Musik der Kameraführung, indem sie teilweise abrupt zwischen kräftig-forschen Klängen für die Darstellung der russischen Kämpfer und scharfen monoton hämmernden Dissonanzen für die Invasoren alterniert. In der anschließenden Verfolgung der flüchtenden deutschen Ritter überlagert Prokofjew die gegensätzlichen Klangsprachen. Die Klangmotive für den deutschen Aggressor gehen in das Geräusch von Luftblasen über, um wie die Ritter im See zu versinken; ein verspieltes musikalisches „Mickeymousing“, das Prokofjew aus Amerika kannte.
Das filmhistorische, musiktheatralische Experiment besitzt wie eine Medaille zwei Seiten. Während die musikalische Rekonstruktion den jeweiligen Filmszenen einen unvergleichlichen Zauber verleiht, führt sie gleichzeitig den Bruch zwischen Musik und Dialog bzw. Szenen mit Geräuschuntermalung um so drastischer vor Augen. So entsteht der Eindruck des Inselcharakters, bei dem entweder die hochdramatische Musik oder der antiquierte Ton im Vordergrund steht. Wegen des stark begrenzten Frequenzspektrums brechen die originalen Tonreste desillusionierend in die Kopfbilder ein. Bei reinen Stummfilmen wie Fritz Langs „Metropolis“ (1927) oder Murnaus „Der letzte Mann“ (1928) vermag die musikhistorische Kernerarbeit und digitale Bildretusche eine perfekte audiovisuelle Einheit herzustellen. Das Zwitterwesen „Alexander Newski“ mit Dialogen, Geräuschen und Filmmusik wirft das Publikum mit Einsetzen der Dialoge bzw. den vordergründigen Geräuschen in die Welt der Aufführungspraxis zurück statt ein konstantes synästhetisches Erlebnis zu vermitteln. So steht die Frage im Raum, ob im Falle von „Alexander Newski“ nicht Dialoge und Geräusche dieselbe Aufmerksamkeit einer Restauration zuteil werden müsste wie der Filmmusik.
Am 4. Dezember gibt arte mit der Ausstrahlung des Films samt der neu eingespielten Musik diese Frage ans Fernsehpublikum weiter. Der ästhetisierte Rückblick auf die deutsch-russische Geschichte kurz vor dem faschistischen Weltbrand erscheint dank der restaurierten und rekonstruierten Filmmusik in faszinierender Klarheit.
Frank Mehring |
Diese Fassung ist NICHT auf der Criterion-DVD enthalten. |
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Neophyte Gast
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Verfasst am: 03 Dez 2007 17:46 Titel: |
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Hm, Schade. Aber damit könnte ich doch "noch" leben. |
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Neophyte Gast
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Verfasst am: 18 Dez 2007 17:46 Titel: |
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Ich kann durchaus damit leben, mit dieser Box volle Kanne in die ... Heiligkeit des Films gegriffen zu haben Mein Favorit aus der Box ist "Ivan... Teil 1", aber auch die anderen beiden - "Ivan II" & "Alexander Nevsky" sind schlicht und ergreifend Meisterwerke. Äußerst empfehlenswert.
BTW: Habe den Thread mal als normal markiert. |
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Snake Plissken
Anmeldungsdatum: 20.07.2008 Beiträge: 184
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Verfasst am: 29 Aug 2008 21:12 Titel: |
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Die DVD von "Stadt in Angst" könnte ich sehr preiswert (> 5,00 Euro) erwerben. Würdet ihr mir zum Kauf raten? |
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4LOM Administrator
Anmeldungsdatum: 28.02.2005 Beiträge: 3350 Wohnort: North by Northwest
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Verfasst am: 30 Aug 2008 19:31 Titel: |
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Snake Plissken hat folgendes geschrieben: | Die DVD von "Stadt in Angst" könnte ich sehr preiswert (> 5,00 Euro) erwerben. Würdet ihr mir zum Kauf raten? |
Auf jeden Fall. Zu dem Preis vor allem. Ein wirklich großartiger Film auf einer empfehlenswerten DVD. Schade nur, daß der Audiokommentar von John Sturges, der für die Criterion-LaserDisc aufgenommen wurde, wohl nie auf DVD veröffentlicht wird. |
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Snake Plissken
Anmeldungsdatum: 20.07.2008 Beiträge: 184
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Verfasst am: 01 Sep 2008 09:50 Titel: |
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Dank dir, Christian! |
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Snake Plissken
Anmeldungsdatum: 20.07.2008 Beiträge: 184
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4LOM Administrator
Anmeldungsdatum: 28.02.2005 Beiträge: 3350 Wohnort: North by Northwest
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Verfasst am: 03 Nov 2008 12:42 Titel: |
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Ich würde da nach dem Preis gehen, denn so viel ich weiß, handelt es sich bei der Artificial Eye-Ausgabe nur um eine Lizenz-Ausgabe der RUSCICO. Somit sollten die beiden Sets also identisch sein. |
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Snake Plissken
Anmeldungsdatum: 20.07.2008 Beiträge: 184
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Verfasst am: 03 Nov 2008 20:15 Titel: |
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Es scheint in der Tat so zu sein, wie du schreibst. Danke für die Info!
Nennt zufällig irgendjemand hier eine der beiden DVD-VÖ sein Eigen? Falls ja, könnte er/sie mir vielleicht mitteilen, wie es um die Bild- und Tonqualität steht? Extras scheinen ja ausreichend vorhanden... |
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Dr. Strangelove
Anmeldungsdatum: 02.08.2005 Beiträge: 1806
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Verfasst am: 03 Nov 2008 23:51 Titel: |
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Egal, wie man es dreht und wendet: keine VÖ dieses größtenteils unbefriedigenden Films ist so richtig das Gelbe vom Ei. Die deutsche Icestorm hat eine schöne deutsche Tonspur aber fiese Artefakte, die Ruscico-Fassungen sind unscharf und farblos, haben aber dafür die russische Tonspur.
Und das bei einem solchen Film, wo alte Filmvorführer noch heute davon schwärmen wie toll es gewesen sei, ihn im 70mm-Format gesehen zu haben! Das ist wie Playtime auf Video zu gucken. _________________ "Un artiste est toujours jeune" Jean-Marie Straub |
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Snake Plissken
Anmeldungsdatum: 20.07.2008 Beiträge: 184
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Verfasst am: 04 Nov 2008 08:52 Titel: |
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Dr. Strangelove hat folgendes geschrieben: | Egal, wie man es dreht und wendet: keine VÖ dieses größtenteils unbefriedigenden Films ist so richtig das Gelbe vom Ei. |
Oh, warum denn das? Ich hatte bisher nur Gutes von dem Film gehört bzw. gelesen.
Dr. Strangelove hat folgendes geschrieben: | Die deutsche Icestorm hat eine schöne deutsche Tonspur aber fiese Artefakte, die Ruscico-Fassungen sind unscharf und farblos, haben aber dafür die russische Tonspur.
Und das bei einem solchen Film, wo alte Filmvorführer noch heute davon schwärmen wie toll es gewesen sei, ihn im 70mm-Format gesehen zu haben! Das ist wie Playtime auf Video zu gucken. |
Die Icestorm-DVD kam für mich von vorneherein nicht in Frage - hat das Label denn jemals brauchbare Arbeit geleistet?
Schade nur, das auch die Ruscico qualitativ nicht überzeugen kann. Da ist sie mir dann zu teuer... |
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